Sonntag, 8. Januar 2012

Warum Philosophie?

Philosophie hatte lange den Anspruch, die Welt im Ganzen zu erklären. Über die Jahrhunderte wurde dieser Anspruch nach und nach immer weiter eingeschränkt, in dem Maße, in dem sich einzelne Wissenschaften, vor allem Naturwissenschaften, etablierten, verlor die Philosophie ihre Deutungshoheit über diese Wissensgebiete. Andere Bereiche, wie z.B. Gottesbeweise wurden nach und nach als nicht erklärbar definiert und fielen damit ebenfalls aus dem Bereich philosophischen Denkens heraus. Die Frage, die nun, speziell in einer Gesellschaft, die immer mehr an ökonomischen Anforderungen ausgerichtet ist, gestellt wird, ist die nach der fortgesetzten Existenzberechtigung der Philosophie als akademische Disziplin.
Was, so isst die Argumentation, trägt die Philosophie zum Wohle der Gesellschaft bei, was tun Philosophen, das andere Berufsgruppen nicht leisten könnten?
Die Antwort ist natürlich im akademischen Kontext leichter zu geben, als außerhalb. Damit will ich mich nicht weiter aufhalten, sondern folgendes in den raum werfen:


  • Die Welt ist ein ziemlich kompliziertes Konstrukt.

  • Es ist ein natürlicher Drang des Menschen, Erklärungen für alle Geschehnisse zu suchen, die Welt und alle Dinge und Ereignisse in ein koherentes Bild zusammenzufügen. Die Hoffnung, das alles irgendwie einen Sinn ergibt ist tief in uns verankert.

  • Auf der Suche nach Erklärungen sind die einzelnen Wissenschaften immer weiter in ihre jeweiligen Gebiete vorgedrungen, so tief in die Materie eingedrungen, dass es für alle, die keine Experten in einem bestimmten Wissensgebiet sind zunehmend unmöglich wird, den Erklärungen noch zu folgen.

  • Aus all diesen komplexen Erklärungen einzelner Phänomene ein konsistentes Gesamtbild zu erschaffen, ist eine Aufgabe, die die Vertreter einer einzigen Wissenschaft immer weniger erfüllen können.

  • Das verknüpfen all dieser Wissenschaften, das entwickeln in sich geschlossener Bilder und Erklärungen, die das Verständnis unserer Welt ermöglichen, ist eine Aufgabe, der sich die Philosophie widmen sollte.

  • Dabei geht es weniger um das finden von Erklärungen, als um das Finden der richtigen Worte. Das Abwägen, welche Fakten und Erklärungen wichtig sind, welche es nicht sind, das Aufzeigen Wissenschaftsübergreifender Muster und Zusammenhänge.

  • Und in dem Maße, in dem die Philosophie so zum Zement wird, der die verschiedensten Wissenschaften zusammenhält, wird sie auch zum Zement der die einzelnen Teile der Gesellschaft zusammenhält.

  • Denn das Einordnen komplexer Tatsachen in einen allgemein verständlichen Gesamtzusammenhang dient auch dazu, das Verständnis einzelner Gesellschaftsteile dem Rest der Gesellschaft gegenüber zu erhöhen. Und das Verständnis aller Teile der Gesellschaft ist essentiell für ihren Zusammenhalt.

2 Kommentare:

  1. Grüße, master of the axe.

    Ich sehe einen Widerspruch zwischen dem Punkt, der die Schwierigkeiten des Laien, eine komplexer werdende Wissenschaft zu durchschauen, postuliert und dem Punkt, der der Philosophie die Aufgabe der Verknüpfung überträgt.

    Was unterscheidet den Philosophen in Hinblick auf ein vertracktes Fachgebiet von dem "gewöhnlichen" Außenstehenden? Expertise kann man vom einen wie dem anderen nicht erwarten, sonst wären sie "Astrophysiker" oder "organische Chemiker" usw. Wenn der Philosoph gleichzeitig das Wichtige vom Nebensächlichen trennen soll und alle Zweige verbinden soll, so müsste er ein Universalgelehrter sein - ein Konzept, dass längst zum Relikt geworden ist, weil ein Leben nicht mehr ausreichen kann, auch nur alles in einer Sparte der Wissenschaften zu wissen.
    Abgesehen davon hat sich auch die Philosophie inzwischen ihre Nischen und Geheimgänge erschaffen und ist zu einem labyrinthischen Gebilde geworden. Wie viele Philosophen beschäftigen sich mit der Philosophie der Wissenschaft?
    Kurz gesagt, ich sehe eine Gefahr darin, eine Auswahl aus Philosophen, die höchstens als informierte Laien auf dem Gebiet der Wissenschaft durchgehen, über die Relevanz der Wissenschaft Gericht halten zu lassen.

    Mein Ansatz wäre es, das Bewusstsein für über das eng fachliche Wissen hinaus in den angehenden Wissenschaftlern zu wecken. Da gibt es ordentliche Defizite, nach dem zu urteilen, was ich von einigen Kommilitonen schon gehört habe.
    Wie sind wir dorthin gekommen, wo wir sind? Warum tun wir, was wir tun?
    Was können wir tun und sollten wir alles tun, was wir können?
    Was bedeutet, was wir wissen?
    Alles philosophische Fragen, die aber ebenso in die Wissenschaft gehören.
    Das Grundhandwerk der Logik (z.B. wie man Trugschlüsse erkennt), Werkzeuge zum kritischen Denken und systematischen Betrachten von Sachverhalten müssen JEDEM in die Hand gegeben werden, anstatt sie an bestimmte Stellen zu delegieren.
    Anstelle einer in urfremden Gebieten verlorenen Philosophenjury müssen die Wissenschaftler selber ihr Fachgebiet aus diesem Blickwinkel ansehen, von der Basis bis in die Komitees*. Ein Physiker und ein Chemiker, die ihre jeweiligen Disziplinen auf diese Weise dual betrachten, können eher Fäden ordnen und zusammenführen als ein mit beiden Gebieten zwangsläufig leidlich vertrauter Philosoph.

    *Es ist natürlich nahezu unmöglich, schlechthin jeden für solche Fragen zu sensibilisieren, andererseits frage ich mich, ob allzu "kurzsichtige" Leute wirklich in Forschung und Führungspositionen des wissenschaftlichen Betriebs gelassen werden sollten. Vielleicht wäre der Typus Student, der studiert, weil man während der Vorlesungen so schön schlafen kann und eher an der Anzahl der Nullen auf dem Gehaltsscheck interessiert ist, eh besser Busfahrer.

    Grüße,

    G.

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    1. Da sprichst du etwas wichtiges an. Ich habe mich vermutlich unklar ausgedrückt, ein Problem, das ich eben durch dieses Blog auch nach und nach zu vermeiden lernen will.
      Natürlich kann und soll ein Philosoph nicht die Kenntnisse eines Wissenschaftlers einer anderen Disziplin gleichsam wiederholen. Was aber gerade in der heutigen, komplexen Welt immer wichtiger ist, ist das in die richtige Perspektive rücken von Forschungsergebnissen.

      Bei der Problematik der Studierenden, die das Studium lediglich als Weg zu einem möglichst ertragreichen Job ansehen und versuchen, dieses auf die effizienteste Weise hinter sich zu bringen, gehen wir aber völlig d'accord.

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